OZ Grünau
Ansprache von Kaspar Surber

  Saiten, Ostschweizer Kulturmagazin

www.saiten.ch/
Wittenbach, Freitag, 23. April 2004

  

Liebe Gäste, vor allem: liebe junge Gäste

 

Was ich nachfolgend erzähle, ist historisch ganz und gar unkorrekt. Allerdings, gerade auch an einer Schule muss man das Unkorrekte über alles loben, vor allem wenn die Glocken geklingelt haben und die Lehrer längst zu Hause sind. Das Unkorrekte kann einem nämlich bisweilen ganz schön weiterbringen und unerwartete Einsichten ermöglichen. Zum Beispiel, wenn man über einen Künstler wie Mark Staff Brandl spricht. So wohl an denn mit einigen falschen Behauptungen, zu Amerika, zum Appenzellerland – und dann schliesslich zu Mark Staff Brandl himself. Doch beginnen wir in der Ferne, mit Amerika, genauer im wilden Westen.

 

Ja, der sogenannte wilde Westen, das waren noch Zeiten: Vor zweihundert, vor dreihundert Jahren lebten da wilde Jungs auf schnellen Pferden und trieben mit ihren flinken Hunden immerfort Kühe über die weite Prärie gegen Westen. Und wenn am Abend die Sonne rotleuchtend hinterm Horizont verschwand, dann gingen diese Cowboys nicht etwa in den Saloon, um Sirup und andere Zaubertränke zu bestellen. Nein, nein, ein Feuer haben die gemacht, unten am Fluss, und eine Bohnensuppe drüber gekocht, und wenn der Hunger gestillt war, haben sie den Bohnensuppentopf genommen, hundert Meter weggestellt und mit den Revolvern draufgeknallt – und ich sag Euch, ein jeder hat den Topf getroffen, und wenns nötig war, auch  noch aus zweihundert Metern Distanz. Wie langweilig ging es da zur selben Zeit im Appenzellerland zu und her: Da gabs keine Prärie, sondern nur ein paar Hoger und Hügel, statt flinken Hunden bellten bissige Blesse, und die Cowboys nannten sich erst noch Kuhhirten. Um die Wette haben die bestimmt nie geschossen, die haben höchstens einen Jass geklopft, und Bohnensuppe kochen konnten sie erst recht nicht, sonst wären sie bestimmt nie auf die Idee mit dem Käse gekommen.

 

Weit und breit also kein Cowboy im Appenzellerland? Doch, einen kenne ich: Mark Staff Brandl. 1955 near Chicago geboren, lebt  der Künstler und Kunstkritiker heute der Liebe zu seiner Frau wegen im Schopfacker in Trogen. Dass er tatsächlich der einzige waschechte Cowboy zwischen Sitter und Säntis ist, das ist nicht schwierig zu begründen: Da ist einmal seine unverwüstliche schwarze Lederjacke, die er bestimmt auch heute mit dabei hat. Dann ist da sein schweres Motorrad, Motorräder sind ja quasi die Pferde von heute. Weiter zu nennen sind seine gottgesegnete gute Laune, sein Witz und sein breiter anglo-appenzellischer Dialekt. Und schliesslich ist da auch und gerade seine Kunst: Hier nämlich wird bisweilen ganz schön aus der Hüfte geschossen und das Pferd verkehrt herum aufgezäumt. «Macht aber nichts», sagt Brandl, «Ich bin eben ein Bastard, ein Impuritan» – ein Mischling also, ein Unreiner.

 

Studiert hat Brandl zwar die hehre Kunstgeschichte, geprägt hat ihn aber ebenso der frühe Kontakt mit bunter Farbe: Sein Vater war Billboardschriftenmaler und Schaufenstergestalter, Mark Staff als Kind leidenschaftlicher Comicleser. Und so strebt Brandl in seinem Schaffen eine Weder-Noch-Kunst an, eine Vermischung zwischen Hoch- und Popkultur, zwischen darstellender und abstrakter Kunst, zwischen Installation und Malerei. Wie das zu verstehen ist, kann man nun hier im OZ Grünau sehen, einerseits an den grossflächigen Wandcomics, den Panels, andererseit anhand der sogenannten Covers, auf die ich hier näher eingehen will.

 

Die Doppeldeutigkeit beginnt bereits mit dem Begriff: Cover meint einerseits Schutzumschlag, in diesem Fall den Schutzumschlag von Comicheften. Cover heisst aber auch, und das kennen wir aus der Musikwelt, Nachahmung und Fälschung. Und tatsächlich sind Brandls Covers beides, Schutzumschlag wie Nachahmung. Betrachtet man die Covers aus der Ferne, so sehen sie aus wie normale Comichefte. Tritt man näher, erkennt man aber, dass die Hefte allesamt gefälscht sind. Die Covers enthalten nicht die üblichen marktschreierischen Titel, sondern hintersinnige Slogans. Und hinter den Titelblättern wiederum gibt’s keine weiteren Seiten, die Fortsetzung muss sich der Betrachter selbst ausdenken.

 

Wie ist es zu diesen Covers gekommen? Ein Jahr lang hat sich der Künstler jeden Tag eine Einsicht notiert, zu den Gedanken, die er sich zu Weltgeschehen und Kunstbetrieb machte, zu den Witzen, über die er lachte. Brave Sätze sind das nicht geworden, nein, ganz Cowboy verdrehte Brandl die Wörter, vermischte das Englische mit Deutschen, Lateinischen und Appenzellischen Ausdrücken. Schlussendlich hat er den Satz in eine echte Comicschrift gesetzt, ein Bild und ein Preisschild gemalt dazu – und fertig war die Story.

Zum Beispiel diejenige vom ewigen Leben. Seit James Dean wissen wir, dass die wahren Helden früh sterben. «Too old to die young – I missed the Deadline» nennt Brandl einen seiner Comics, frei auf Deusch und in die Sprache der Motorradfahrer übersetzt: «Zu alt, um jung zu sterben – ich habe die Ausfahrt verpasst». Gleich in der Nähe findet sich ein Cover gegen den amerikanischen Präsidenten: Statt «The United States of America» nennt Brandl sein Heimatland «The United States of unelected arrogance» – «Die Vereinigten Staaten der ungewählten Arroganz». Und auch die Kuratoren, die heimlichen Herrscher über die Kunstwelt, kriegen eins aufs Dach: Non curatoribus, sed vitae pingimus, nicht für die Kuratoren, sondern fürs Leben malen wir. Der Slogan ist hergeleitet vom lateinischen Merksatz: «Non scholae, sed vitae discimus», nicht für die Schule, fürs Leben lernen wir.

 

Ganz im Sinn dieser Sentenz hoffe ich zum Schluss, dass Brandl mit seinen verwirrlichen Fragen die Schülerinnen und Schüler zu möglichst viele unkorrekten Antworten bringt: Kunst nämlich hat nichts zu tun mit Regeln, Kunst ist etwas für Revolverhelden, merkt Euch das. Sollte deswegen in den nächsten Tagen die Unordnung im OZ Überhand nehmen, können sich die Lehrer ja mit jenem Cover wehren, auf welchem der Cowboy selbstironisch preisgibt, wie man ihn am besten vom Ross stürzt: «Bekämpft den Brand – mit eme Brandl.»

 --- Kaspar Surber

Wittenbach, Freitag, 23. April

 

 

BACK/ZÜRUCK Brandl Web Site