Mittwoch, 30. August 2000______________________________________KULTUR

Comics, Cage und die Beatles
Künstler aus der Nähe: Der Maler Mark Staff Brandl
von Gerhard Mack

 «Ich sammle Fehler», sagt Mark Staff Brandl. Rings um ihn lehnen mannsgrosse Bilder an den Wänden. Die Farben leuchten wie Messer in den Raum. Eine Etage tiefer war einmal der Kuhstall des alten Bauernhauses. Wenn man den Tobel herunterfährt, schlägt der Hund an, als gelte es wie seit eh und je Haus und Hof gegen Fremde zu verteidigen.

Mit dieser früheren Welt hat Mark Staff Brandls Malerei nichts gemeinsam.



Konzentrierter Ausdruck: Der Maler Mark Staff Brandl bei der Arbeit. Bild Ursula Häne


Die zitternden, ausfransenden Formen seiner Sujets entnimmt er elektronischen Bildmaschinen. Was das Faxgerät, der Kopierer, der Bildschirm oder der Computer
liefern, wird hochkopiert. Details treten dann monumental auf die Leinwand, wie Fraktale, die von Ferne her noch auf ein Ganzes verweisen, das sich nicht mehr ermitteln lässt.

Detektivisch

«Ich arbeite wie ein Detektiv», sagt Brandl, der mit Instinkt sucht. Da treffen etwa vor einem leuchtend blauen Grund die roten Linien eines Fingerabdrucks von Piero Manzoni die Augen. Eine Reverenz an den italienischen Künstler, der in den Fünfzigerjahren konzeptionelle Bilder geschaffen hat. Die Auseinandersetzung mit Tradition ist wichtig. Mark Staff Brandl wird vom Maler zum Kritiker, der für renommierte
englischsprachige Zeitschriften schreibt. Er habe eine Hassliebe zu Dada, sagt er, und schätze Marcel Duchamp und Francis Picabia: «Als Student habe ich eine Woche lang nur Reis gegessen, damit ich mir ein Buch über Picabia kaufen konnte.» Was derzeit passiert, lehnt er jedoch ab. Viele Künstler nehmen sich ein winziges Stück aus dem Werk von Duchamp und blasen es auf. «Das ist so, als würde man Zen-Buddhismus zur Staatsreligion erheben», betont Brandl und bedauert, dass die Lust an der Auseinandersetzung mit der Geschichte verloren gegangen ist: «Die Amerikaner glauben, sie haben keine Geschichte und erfinden die Welt ständig neu. Die Europäer haben Angst vor ihrer Geschichte.» Einen Ausweg bietet die kritische Auseinandersetzung. Künstler brauchen ein Vorbild zum Missverstehen. Aus dieser Differenz können sie ihre eigene Position formulieren. «Dazu müsste man aber die Vergangenheit kennen», sagt Brandl. «Paul Klee wollte zehn Jahre alt sein, um anders sehen zu können, heute wollen alle sechzehn bleiben.» Künstler müssen «kämpfen wie Jakob mit dem Engel, aber heute wollen alle berühmt sein, nicht gut.»

Laute Bilder

Malerei mit ihrer alten Geschichte scheint Mark Staff Brandl dafür geeignet zu sein wie kaum ein anderes Genre. Vielleicht auch, weil der Vater Schildermaler war. Seine drei letzten Pinsel holt der Sohn hervor. Sie sind fast so etwas wie ein Vermächtnis. Wenn Mark Staff Brandl malt, hat er zwar andere Werkzeuge zur Hand, breite Pinsel, Spachtel, Rakel zumeist, die er flach über die Fläche zieht. Die aufgespannte Leinwand liegt dabei jedoch auf Tischen und Böcken, wie die Schilder und Werbetafeln, die sein Vater gemalt hat. Als ein Student sagte, seine Malerei sei eine Art «Billboard Zen», hat ihm das gefallen. Laut und gross wie die riesigen Werbetafeln in den USA sollen seine Bilder sein: «Ich bin schliesslich in Chicago aufgewachsen, mit Rockmusik und Blues, und meine Kunst ist eine schlechte Kombination aus John Cage und den Beatles.» Malerei stand für Mark Staff Brandl nicht immer so sehr im Zentrum. Zwar hat er sich als Student an der Akademie in Chicago in der Malereiklasse eingeschrieben, aber nur «weil das die offenste Klasse war». Das Handwerk hat er dort nicht gelernt. Er ist lieber mit einem Sony Portapack durch die Strassen gezogen und hat Videoaufnahmen gemacht oder Performances und andere Kunstformen für sich erprobt. Ein monumentales «Musterbuch» blättert eine Vergangenheit auf, die der Farbenrausch der Bilder im Atelier nicht erwarten lässt. Da wird das cartesianische System ausprobiert, es finden sich polynesische Karten, Spuren von Metallpuder, die mit dem Hammer aufs Papier geschlagen wurden und den Strukturen der jüngsten Gemälde ähneln. Brandl machte Musik mit den Startgeräuschen von Autos. Beeindruckt haben ihn Bruce Nauman und Joseph Beuys. Mit dem deutschen Künstler hatte er Kontakt. Die späten Minimalisten, die an der Akademie in Chicago unterrichteten lehnte er dagegen ab. «Zu
akademisch», sagt Brandl und holt einen Stuhl mit gelb bemalter Fläche. «Das ist meine monochrome Malerei. Auf der kann ich sitzen und jedes Mal meine kleine Dada-Performance machen, wenn ich arbeite.»

Chaos-Lust

Als Mark Staff Brandl sich auf Malerei konzentrierte, waren seine Händler verärgert. Man etabliert nicht ein Label, um es gleich fallen zu lassen. Die vielen Kanäle des Frühwerks sind jedoch weiter offen. Es gibt Pläne für Videoinstallationen, Musik, Comic-Strips, Grafikserien und Leporellos, die sich wie Filme entfalten und neue Möglichkeiten für die Komposition von Bildern erschliessen. Der Fingerabdruck Piero Manzonis pulsiert in der Sommerhitze. Das Rot und Blau passen, wie die meisten anderen Farben bei Brandl, nicht so recht zusammen. Er wählt Nebenfarben und «blässt sie auf wie Steroide, bis sie so präsent sind wie Primärfarben». Er klebt die Formen ab und malt in zahllosen Farbschichten darüber. Wenn der Kleber entfernt wird, tut das Auge sich schwer, die Höhen zu unterscheiden. Was aufgemalt zu sein scheint, liegt in Wirklichkeit darunter. Das gibt der Bildfläche Tiefe und Bewegung. Die Farbe soll flackern wie das Sonnenlicht. «Vielleicht ist das so eine Hippiegeschichte, immerhin bin ich in den Sechziger- jahren aufgewachsen», sagt der Künstler. Oder der alte Traum, mit der Farbe das Licht einzufangen und Gegensätze zu verbinden.

Gerhard Mack

Aus dem Tagblatt vom 30.08.2000 © St.Galler Tagblatt
Hot Link zur Artikel in der Tagblatt-Site


Seitenkolumne zu «Comics, Cage und die Beatles»
WÖRTLICH

Kalkuliert sinnlich

Mark Staff Brandls Kunst ist geprägt von Polaritäten und Gegensätzen. Ganz bewusst führt er Gegenläufiges und Widerspenstiges in der Bearbeitung des Materials, in seinen
Formen und Kompositionen zusammen, bis hin zu seiner methodischen Vorgehensweise. Trotz seines intellektuellen Hangs zur Theorie gehen aus seinen Spekulationen immer wieder überraschend sinnliche Kunstwerke hervor. Brandl greift einen charakteristischen Aspekt des Wahrnehmungs- und Gestaltungsprozesses heraus und bringt ihn mittels Abstraktion wieder ins Bild. Er nimmt Linien, Figuren, Striche oder Aspekte des Bildes, die er für wichtig hält, und vergrössert sie in mehreren Durchgängen. Was auf den ersten Blick nach willkürlichen Flecken und Kratzern auf der Oberfläche aussieht, erweist sich als sorgfältig gezeichnete oder in die Farbe geritzte Form. Elemente der Hoch- und Populärkultur stossen aufeinander. Darstellung und Abstraktion werden sich gegenseitig zum Plagiat. Die Kraft der Präsenz schafft einen Ausgleich zum vorsätzlich Geplanten.

Daniel Ammann und Roman Schuenze in: Critical Review,
New York 1999
Neben «Comics, Cage und die Beatles»

Aus dem Tagblatt vom 30.08.2000 © St.Galler Tagblatt
Hot Link zur Artikel in der Tagblatt-Site

BACK/ZÜRUCK Brandl Web Site